Sexual Secrets

Wir suchen Antworten, wenn wir Texte betrachten, die aus geistigen Traditionen stammen, die zeitlich und räumlich weit von unserem Hier und jetzt entfernt sind. Wir suchen intellektuelle Antworten auf die großen Fragen des Lebens, aber auch emotionale Antworten auf die Sehnsüchte unserer Körper und unserer Seele.

Sexual Secretes

Hier gebe ich Antworten, aber keine wissenschaftlichen im herkömmlichen Sinn – weder historisch-philologische noch zeitgenössisch-psychologische. Stattdessen gibt es Antworten auf Fragen, die bereits vor Jahrtausenden gestellt wurden und die wir auch heute noch stellen, auf die jedoch sowohl unsere Wissenschaft als auch unsere Religion keine Antwort haben. Dies sind tantrische Antworten, die aus einem Erfahrungsschatz schöpfen, der über Jahrhunderte hinweg aus zahllosen spirituellen und körperlich-sinnlichen Erfahrungen destilliert wurde. Tantrische Fragen setzen nichts voraus; sie sind die natürliche, unschuldige Neugier von Kindern aller Kulturen. Tantrische Antworten hingegen setzen einen Rahmen voraus, der die westlichen und teilweise auch östlichen Ansichten über Religion und gesellschaftliche Normen sprengt. Denn in der rituell geführten tantrischen Erfahrung verbinden sich Weltliches und Religiöses, Sexuelles und Spirituelles zu einer Einheit.

Um diese Verbindung als eigenständigen spirituellen Weg in der ekstatischen Praxis des Tantra zu gehen, bedarf es jedoch der moralischen Qualifikation eines Viras. Denn die sexuelle Kraft, die hier geweckt wird, ist nichts anderes als die Urkraft des Lebens selbst, die Kraft der Evolution. Materiell und genussorientierte Menschen, Pashus – das Tier, würden von diesen Kräften verschlungen werden. Sie sollten sich von tantrischen Lehren fernhalten und sich stattdessen an den sicheren Leitplanken traditionell-religiöser Lehren festhalten.

Der klassische Weg des Tantra ist der Pfad der Verbindung (Yoga). Er wird mithilfe spiritueller Qualitäten beschritten, die man über viele Leben hinweg erworben hat. Ein Guru, Mantras sowie die Verehrung von Göttern und Göttinnen können dabei behilflich sein.

Dieser Text kann jedoch kein Guru sein und seine Worte sind keine Mantras. Er kann nicht einfach in einen anderen kulturellen Kontext übertragen werden und ist nicht dazu gedacht, spirituelle Ersatzwelten zu schaffen.

Über die Kraft, die unsere gegenwärtige körperliche Existenz schafft und unsere geistige und kulturelle Existenz weitgehend bestimmt, lernen wir nur Oberflächliches. Wir lernen nur grob-physiologische Vorgänge bei der Paarung und viele „Abfallprodukte“ ungelebter oder falsch gelebter Sexualität. Die Abstumpfung der Sinne ist das Kennzeichen einer Gesellschaft, die im Sex gefangen ist.

Das Verfeinern der Sinne ist das Kennzeichen und die Folge eines tantrischen Lebens und Liebens. Tantra kultiviert die Sinne bis zur Fähigkeit, die sexuelle Kraft in ihrer ganzen Bandbreite zu erkennen und zu nutzen – von den Tiefen unseres Seins bis zu den Auswirkungen unseres sexuellen Handelns auf die Menschen um uns herum und auf den gesamten Kosmos, mit dem wir untrennbar verwoben sind.

 

Über die Kraft, die unsere gegenwärtige körperliche Existenz schafft und unsere geistige und kulturelle weitgehend bestimmt, und die an der Basis fast aller Beziehungsprobleme, von der persönlichen bis zur internationalen Ebene, liegt, lernen wir nur Oberflächliches: die grob-physiologischen Vorgänge bei der Paarung und viele <<Abfallprodukte>> ungelebter oder falsch gelebter Sexualität. Abstumpfung der Sinne ist das Kennzeichen einer im Sex gefangenen Gesellschaft.

Verfeinerung der Sinne ist das Kennzeichen und die Folge tantrischen Lebens und Liebens. Tantra kultiviert die Sinne bis zur Fähigkeit, die sexuelle Kraft in ihrer ganzen Bandbreite zu erkennen und zu nutzen: von den Tiefen unseres Seins bis zu den Auswirkungen unseres sexuellen Handelns auf die uns Nächsten und auf den ganzen Kosmos, mit dem wir untrennbar verwoben sind.

Dieser Text Zeigt uns die lustvollen Raffinessen der erotischen Kultur des Ostens. Aber er bleibt nicht bei der grobkörperlichen Ebene der Lust stehen. Es sind die sehr schnell einsehbaren und nachvollziehbaren Erklärungen über die feinstofflichen, energetischen Vorgänge bei der sexuellen Begegnung, die uns eine klare Richtschnur geben für spirituelle Entwicklung in und durch die Partnerschaft.

Anders als bei den westlichen – und auch den meisten östlichen – Versuche, die <<rohe>> Sexualität durch asketische Methoden zu zähmen, zu sublimieren und zu transzendieren, schließt der tantrische Weg zu Ganzheit und <<Heil>> den körperlichen Vollzug der Liebe mit ein. Der Eingeweihte wendet sich von der Natur nicht ab, sondern er benutzt sie. <<Wenn jemand zu Boden fällt, dann muss er mithilfe des Bodens wieder aufstehen>>, sagt das Kularanava-Tantra. Es geht nicht darum, die Welt, die Frau, den Körper aufzugeben, sondern sie in ihrer wesenhaften Göttlichkeit zu erkennen. Das ist die Spiritualisierung der Sexualität. Das lehrt dieser Text.

Aber ist Tantra nicht mehr als nur eine Art Kultivierung des Geschlechtsverkehrs? Ist es nicht mehr als eine vergeistigte Variante der sinnlichen Lust? Der eigentliche Kern und die Grundlage der tantrischen Liebespraxis liegen viel tiefer und reichen bis in die indische Philosophie und Psychologie hinein. Das ist die spirituelle Ebene meines Textes – das Aufzeigen der sexuellen Dimension in der Struktur allen Seins. Es gibt eine Polarität von männlich und weiblich, die alles durchdringt. Aus dieser Polarität wird das Netz der Maya, der kosmischen Illusion, gewoben. Maya ist jedoch nichts anderes als Shakti, die „Kraft“ Gottes (Shiva). Die ganze Welt der Materie – und das schließt nach indischer Philosophie auch die Psyche ein – ist die nie endende Manifestation des dynamischen Aspekts des Göttlichen. Dieser Energieaspekt Gottes ruht als (sexuelle) „Schlangenkraft“ (Kundalini) in jedem Menschen. Es gilt, sie zu erwecken und mit dem Shiva-Prinzip zu vereinen, das die geistig-spirituelle Essenz jedes Wesens ist.

Shakti nimmt auch Gestalt an in jeder Frau. Und genau wie die kosmische Shakti das Universum gebiert, aber auch ihre Kinder voller Liebe zurücknimmt, so ist die Frau – als Mutter – für jeden geborenen Menschen das Tor in diese Welt, aber auch das Tor, das über sie hinausführt – als Geliebte.

Wie in allen Dingen wirkt das Prinzip von männlich (Yang) und weiblich (Yin), und so existiert die Polarität von Mann und Frau natürlich auch innerhalb jedes einzelnen Menschen.

Aber es ist vorwiegend in der zwischenmenschlichen Beziehung von Mann und Frau, dass die sexuelle Spannung zu einem Heilsweg werden kann. Zentral ist vor allem die Haltung des Mannes gegenüber der Frau. Denn Tantra als religiöse Kultur ist eine der Shakti, und wer den Weg des Tantra geht, ist ein „Shakta“. Er sieht in jeder Frau die kosmische Shakti, und seine Partnerin ist für ihn die Göttin.

 

Durch die sexuelle Vereinigung mit der Partnerin kann der Mann seine eigene spirituelle Essenz mit der kosmischen Shakti vereinigen und so das Ziel des tantrischen Pfades erreichen. Dabei geht es nicht nur um sexuelle Befriedigung, sondern um die Vereinigung von Shiva und Shakti, die das höchste Bewusstsein und die höchste Erfüllung bringen soll.

Die tantrische Liebespraxis zielt also nicht nur auf die körperliche, sondern auch auf die spirituelle Vereinigung von Mann und Frau ab. Die sexuelle Beziehung wird dabei als ein heiliges Ritual betrachtet, das den Eingeweihten auf dem Weg zur Selbsterkenntnis und Einheit mit dem Göttlichen unterstützt.

Dieser Text zeigt den Weg zu einem geistigen Zentrum und einem spirituellen Pfad, dem immer mehr Menschen bereit sind zu folgen. Ob es der Weg der Meditation oder der Weg des tantrischen Rituals ist, beide führen zur Entase und Ekstase.

Ein materiell orientiertes Gesellschaftssystem oder eine Religion mit weltlich-historischer Perspektive wird Tantra jedoch ablehnen. Diese Systeme leben davon, das kleine Ego zu kontrollieren, während das spirituelle Leben das Ego in Richtung des großen Selbst transzendiert. Die natürliche Tendenz der Evolution führt den Menschen, nicht mehr gesellschaftliche und religiöse Normen. Diese Kraft ist Mutter Natur, Shakti, die Kraft Gottes, die sich im Menschen als Frau manifestiert.

Die tantrische Auffassung von Sexualität ist eng mit der Rolle der Frau verbunden. Im tantrischen Liebesritual spielt die kreative Funktion des Sex kaum eine Rolle. Die Sexualität fließt im Tantra nicht horizontal in die Fortpflanzung, sondern vertikal in die spirituelle Realisierung des Selbst, in die geistige Unsterblichkeit. Die Gesellschaft wurde jedoch durch eine genormte Regulierung und Unterdrückung der Sexualität geformt und wird zusammengehalten. Wie würde sich eine Gesellschaft entwickeln, die eine tantrische Sexualethik als Richtschnur für soziale Beziehungen hat, anstatt einer katholischen, muslimischen oder hinduistischen?

 

Dieses Experiment wird kaum stattfinden, denn Tantra ist von Natur aus eine Lebensweise der Elite. Es gibt nur wenige Helden (vira), aber viele Herdentiere (pashu). Göttliche Wesen (divya), für die Sexualität nur noch auf der höchsten spirituellen Ebene von Bedeutung ist, sind kaum zu finden. Trotzdem: Wenn das Leben auf der Erde fortbestehen soll, muss die Schwelle zur Transformation, auf der wir heute stehen, überschritten werden. Jeder einzelne zählt (divya) in diesem Prozess, ebenso wie jeder Held (vira).

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